Dokumentation Personalführung


Personalführung03-2017

Wozu sind meine Mitarbeiter motiviert?

Dr. Helmut de Craigher

Motivieren ohne zu manipulieren

Gesunde Menschen sind motiviert. Gesunde Mitarbeiter wollen deshalb in der Regel für sie Sinnvolles leisten. Leider richten sie ihre Motive nicht automatisch an betrieblichen Zielen aus. Jede Führungsmannschaft wird daher vor die Notwendigkeit gestellt, Mitarbeitermotive zu verstehen, ausgewählte Mitarbeitermotive in den Dienst geeigneter betrieblicher Aufgaben zu stellen, Sinnangebote zu machen und schließlich mit überzeugendem Beispiel bei der Erfüllung von Aufgaben vorauszugehen.

Erster Schritt: Wozu sind meine Mitarbeiter motiviert?

Wie schon beschrieben 1), ist das eine analytische Aufgabe der Führung. Als Unternehmensleiter lernen Sie selbst und zeigen Ihren Führungskräften, wie dabei vorzugehen ist.

  1. Prüfen Sie die Motivationsstruktur der einzelnen Mitarbeiter. Akzeptieren Sie bei Schlüsselpositionen auf Dauer keine nur taktische Zustimmung zu Zielen, Mitteln und betrieblichen Gegenleistungen.
  2. Erkennen Sie – und beseitigen Sie – Motivationshemmnisse (falsche Aufgabe, mangelnde Ausstattung, falsche Anreize, Führungsfehler, falsche Erwartungen des Mitarbeiters).
  3. Bestimmen Sie "situativ" den Reifegrad des Mitarbeiters und arbeiten Sie je nachdem beherzt mit klaren Anweisungen, mit ausführlichem Einlernen, mit Delegation und/oder mit Zielen.

Welche Ziele motivieren?

Praktiker und Psychologen haben festgestellt, dass Ziele motivieren. Allerdings nicht alle Ziele. Sondern nur solche Ziele motivieren, die eigenen Sinnvorstellungen entsprechen. Andere Ziele demotivieren oder lassen uns kalt. Motive sind "Beweger" (Motiv kommt von lat. "motus", das heisst "Bewegung"), sie setzten innere Energie für Ziele frei. Sie tun das genau dann, wenn uns diese Ziele begeistern oder mit positiven Erwartungen erfüllen, also einen Sinn für uns haben.

Messinstrumente

Die aktuelle Motivationsstruktur kann mit einer Reihe von marktgängigen Analyseinstrumenten abgebildet werden. Sie beruhen meistens auf der sogenannten "Temperamentenlehre". Diese geht auf den antiken Arzt Hippokrates (460 – 370 v.Chr.) zurück. Bekannte Varianten sind DISC, DISG, Persolog, Insights MDI, Meyers-Briggs-Temperament-Inventory (MBTI). Andere Modelle beruhen eher auf Typen verhaltenspsychologischer Entwicklungsmuster, wie das Enneagramm 2).

Polare Motive

Die meisten Modelle beschreiben mehrere Grundtypen von Menschen. Diese können miteinander gut oder weniger gut kooperieren. Aber wie sieht es mit den Spannungen innerhalb der Persönlichkeit aus? Wie wirken sich diese auf das Team oder die Organisation aus? Motive eines Menschen können sehr oft zueinander in Spannung und Widerspruch stehen. Verschiedene Motive können mit Gegenmotiven in ein- und derselben Persönlichkeit verbunden sein.

"Zwei Seelen, ach, wohnen in meiner Brust"

Goethes Dichtung 3) bringt diesen inneren Widerspruch zum Ausdruck. Tatsächlich drängeln sich im menschlichen Bewusstsein nicht nur zwei, sondern oft noch viel mehr gegensätzliche Motive. Wer sie verstehen kann, versteht möglicherweise noch besser, wie Menschen mit vergleichbaren Motiven harmonieren oder wie Menschen mit gegensätzlichen Motiven mit einander in Konflikt geraten können.

Das Motivrad nach Dr. Evelin Kroschl

Ein außergewöhnliches Modell zum Verständnis von polaren Motiven hat Dr. Evelin Kroschl vorgelegt 4). Es befasst sich mit unseren sozialen Handlungsmotiven, nicht den körperlichen, ästhetischen oder intellektuellen Neigungen. Wir nutzen dieses Modell in einer leicht durch uns veränderten, angepassten Form. Nutzbar ist das Modell für:

  • die individuelle Analyse von Motivationswidersprüchen,
  • Ableitung von Gesichtspunkten zur beruflichen Supervision oder zur Verhaltenstherapie,
  • Auffinden von Konfliktbereichen in der Paarberatung und Paartherapie,
  • gruppendynamischen Verhaltens¬mustern ausgehend von dem Vergleich individueller Muster,
  • Ableiten von persönlichen Entwicklungsprogrammen im beruflichen und verhaltens¬psychologischen Bereich.

Die Stärke dieses Modells besteht in folgenden Punkten:

  • Die polaren, je gegenüber liegenden Motive sind bei verschiedenen Menschen meist einseitig und verschieden stark ausgeprägt. Dies kann zur Erklärung und zum Vergleich individueller Besonderheiten genutzt werden.
  • Unausgewogenheiten im Verhalten werden so darstellbar. Es besteht praktische und auch therapeutische Anwendbarkeit, sofern sich die Annahmen im Einzelfall bestätigen.
  • Das Modell entspricht in der Grundstruktur der klassischen Temperamenten-Lehre, was die Vergleichbarkeit der Aussagen des Modells mit anderen Analysemethoden erhöht.

Die Prämissen des Modells lauten:

  • Bedürfnisse sind die Antriebskräfte jeglicher menschlichen Äußerung und Tätigkeit.
  • Allerdings unterscheidet das Modell sprachlich noch nicht zwischen Bedürfnissen und Motiven und folgt damit der älteren amerikanischen Verhaltenspsychologie. Die neuere Verhaltenspsychologie stellt Spannungen zwischen Bedürfnissen und Motiven fest. Motive werden als Bedürfnisregulatoren gesehen 5).
  • Tatsächlich handelt das Modell von Motiven, also von seelischen Energiegebern. Jedes Verhalten und Handeln erhält seine psychische Energie aus Motiven.
  • Es gibt kein Erleben oder Verhalten, das bedürfnisfrei oder unmotiviert ist.
  • Wenn die vorhandenen Motive gleichmäßig zur Entfaltung kommen können, verfügt der Mensch über seine gesamte Energie. Diesen Zustand der Einheit der Polaritäten bezeichnet man als Flow 6). Darunter versteht man, daß die verschiedenen Motive einer Person zu einer Gleichrichtung seiner Handlungen und zu einer Zufriedenheit mit seiner Tätigkeit führt. In diesem Falle fließen alle Energien "in eine Richtung". Das Gefühl, daß bestimmte Motive frustriert werden könnten, verschwindet im Fluß der Handlung vollständig. Die "Weisheit" des "Erfolgs" liegt für E. Kroschel darin, dass er uns in diesem "Flow"-Zustand fast ohne Anstrengung zufällt.

 

Wie gehen Sie selbst mit dem Motivrad um?

Schätzen Sie die Stärke Ihrer eigenen Motive auf einer Skala von jeweils 1 (sehr gering) bis 10 (außerordentlich stark ausgeprägt) ein.

Bitte verbinden Sie dann die einzelnen Felder ihrer Motivausprägungen zu einem Diagramm.

Dann führen Sie mit einer Person, die Sie sehr gut kennt (z.B. Ehegatte, Freund, Eltern …), die Gegenprobe in Form einer Fremdeinschätzung durch.

Schließlich haben Sie die Möglichkeit, Ihr Profil mit dem anderer Persönlichkeiten Ihrer Umgebung abzugleichen. Sie werden dann Ähnlichkeiten oder Unterschiede, vor allem auch Konfliktfelder entdecken.

Die Motive des Motivrads nach E. Kroschel - hier unsere eigene, leicht veränderte Darstellung - sind folgende:

Team-Management

Auf der Grundlage des Motivrads können wir auch die optimale Team-Zusammensetzung definieren. Die optimale Motivationsstruktur des Teams ist dann jeweils mit den IST-Motivationsprofilen der Mitarbeiter zu vergleichen.

Beispiel Vertriebsteam

Ein Vertriebs-Team sollte üblicherweise einen starken Schwerpunkt seiner Motive in dem wettbewerbsorientierten Bereich „Unabhängigkeit & Kämpfen“ haben. Ein starker Zusammenhalt und eine deutlich Loyalität zum gemeinsamen Unternehmung sollte aber als Gegengewicht ebenfalls stark ausgeprägt sein. Man wird ihn besonders stark bei den Innendienst-Mitarbeitern erwarten. Der Hang zu Loyalität und Sicherheit sollte überhaupt umso stärker ausgeprägt sein, je mehr das Produkt erklärungsbedürftig und für den Kunden langfristig bindend ist.

Beispiel Spitzenleistungen

Je höher die erwartete Leistung ist, desto mehr wird von Führungskräften und Teams die Fähigkeit erwartet, entgegengesetzte Eigenschaften gleichzeitig zu beweisen. Die entstehende Spannung erzeugt Energie für den richtigen „Flow“. Starke Führungskräfte werden nicht nur Gegensätze in der eigenen Persönlichkeit sinnorientiert ausrichten, sondern auch gegensätzliche Energien aus den Teams für gegensätzliche Aufgaben im gemeinsamen Interesse bündeln.


1) Unter 11-2016 an dieser Stelle: "Sinnorientiert motivieren statt manipulieren" (öffnet neues Browserfenster / neuen -Tab)

2) Einen Überblick der gängigen Motiv- und Verhaltenstypologien gibt Simon, "Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests. 15 Persönlichkeitsmodelle für Personalauswahl, Persönlichkeitsentwicklung, Training und Coaching", 2006 Offenbach.

3) Faust I, Vers 1112.

4) In ihrem Buch "Die Weisheit des Erfolgs", München 1996.

5) Vgl. in diesem Blog 12-2016: "Der Motivationskreislauf" (öffnet neues Browserfenster / neuen -Tab)

6) Die Theorie des "Flow" wurde bekannt gemacht durch Csikszentmihalyi, M. "Flow: The psychology of optimal experience", New York 1990.


Fortsetzung und weitere Informationen beim Autor …

 

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